Wer das Simulakrum nicht kennt, hat Schwierigkeiten es zu finden. Der
Neuling sollte auf
Teufel komm raus, die Hausnummer in sein Hirn einmeißeln, will er sich nicht in einen falschen Gewerbe-Hinterhof der Mainzer-Neustadt verirren. Soweit gekommen, darf er sich nicht von einem türkischen Kulturzentrum ablenken lassen. Wenn er Glück hat, leuchtet das Schild über einem schäbigen Hintereingang. Ist er eine dämmerig Kellertreppe hinabgestiegen, muß er sich durch eine angelehnte Tür hindurchzwängen. Ist es Winter, sollte er warm angezogen sein. Das Simulakrum biedert sich nicht an. Auch die Räumlichkeiten des Simulakrums gehorchen nicht dem Klischeebild einer Galerie. Es gibt keine lichtdurchfluteten Räume, keine gelangweilt blasierte Vernissagenpopulationen und keine Champagnerglaspyramiden, wie wir sie aus den Vorabendserien des Fernsehen kennen. Das Simulakrum entspricht eher einem Ort, wo man Lino Ventura oder Alain Delon auf dem set eines französischen 'film-noir' agieren lassen würde, der zeigt, wie sie in einem weiß gekachelten Raum - bestrahlt durch kaltes Neonlicht - ihren nächsten großen Einbruch planen. Später würde noch Michel Constantine vorbeikommen und man könnte es von seinem gigantischen Waschelohren ablesen, daß er einen Verräter ohne viel Aufhebens umgebracht hat. Das Simulakrum ist kein Ort des 80er-Jahre-Altstadt- Schicks. Dessen Initiatoren haben sich dort niedergelassen, wo Mainz am urbansten ist und noch am ehesten dem Phantombild von Kreuzberg oder Belleville nahekommt. Natürlich ist das alles Illusion - wer würde ernsthaft behaupten wollen, daß Mainz eine Großstadt sei? Mainz ist alles andere als der Nabel der Welt und wer sagt, daß Mainz abseits vom Schuß sei, untertreibt. Wer einmal in Mainz Auto gefahren ist, weiß, daß der typische Mainzer nie im Abseits steht, sondern immer im Weg! Fast jeder Presseartikel gebraucht zur Beschreibung des Simulakrums chthonische Metaphern. Klar: in diesem "geheimnisvoll bestückten Kellerraum", in dieser "Caverna magica" wütet die "Kunst des Untergrunds". Allerdings gehen alle Metaphern, die das Simulakrum als Negativfolie der etablierten Kunst der Stadt nachzeichnen, fehl; Mainz ist eine Stadt, in der nicht einmal eine richtige Kunsthalle für zeitgenössische Kunst existiert. Das Simulakrum ist schlichtweg ein Ausstellungsort, der auf den Mangel an Ausstellungsorten reagiert. Ein Ort auch, wo ein Künstler mal einen Nagel in die Wand schlagen kann, ohne daß er für das nächste halbe Jahr mit seiner Haftpflichtversicherung beschäftigt ist. Da der Mangel an Ausstellungspodien in Mainz total ist, ist auch das Angebot des Simulakrums total. Es beschränkt sich nicht auf Malerei, Plastiken oder Zeichnungen; man veranstaltet auch Comic-Ausstellungen, Theaterstücke, Videomatineen, Tanz-Perfomances, Jazz-Konzerte, VideoFormances, Foto-Installationen, klassische Kammermusik, etc.. Wem die Etiketten der Veranstaltungen etwas marktschreierisch anmuten, sollte bedenken, daß das Simulakrum das ganze klassische Angebot eines Avantgarde-Gemischtwarenladens präsentieren muß, wo andere Städte mehrere Medien-Kaufhäuser zur Verfügung stellen. Bei aller Vielfältigkeit ist das Angebot des Simulakrum nicht bedroht, in Beliebigkeit auszuarten. Die Räumlichkeiten machen es den Aussteller nicht leicht, sie schmeicheln der 'Kunst' nicht. Was in einem veredelnden Ambiente noch als 'nett' und 'hübsch' durchgehen würde, kann in der klaustrophobischen Atmosphäre des Simulakrum gnadenlos durchfallen. (Auch das Scheitern ist ein Bestandteil des künstlerischen Diskurses, wird sich der gebildete Besucher denken, während er mit der einen Hand die Bierflasche tätschelt, mit der anderen ganz kennerhaft die Zigarettenasche auf den Boden schnickt.) Das Simulakrum ist kein Weihetempel der erprobten, sondern ein Teststand nicht-erprobter Kunst. Nicht alles ist gut, was das Simulakrum präsentiert, doch es ist gut, daß es das alles gibt. Das Simulakrum ist ein Kind der 'dreckigen Neunziger' - im April feiert es sein dreijähriges Jubiläum. Das es solange existiert, ist ein Wunder, daß es weiter existieren wird, könnte sein größtes Dilemma werden. In den mythischen Urzeiten wurde jede Ausstellungseröffnung auch als solche gefeiert, da sie jeweils im Ruf stand, die letzte zu sein. Zwar konnten mittlerweile die Existenzsorgen der Galerie leicht gemildert werden, doch ist mit der latenten Gefahr, man könne etwas (kurz vor Toresschluß) verpassen, auch die Erhabenheit des Vergänglichen gewichen und kann nicht mehr als Beiklang jeder Ausstellung zelebriert werden. Die jetzige Phase des Simulakrums läßt sich am besten mit einem Titel eines Films von Granier-Deferre umschreiben: "La métamorphose des closportes" (Die Metamorphose der Kellerasseln / "Ganoven rechnen ab"). So basteln die Macher des Simulakrums momentan (im Rahmen eines Kunstbüros) auch an Konzeptstrategien, wie sie die Veranstaltungen aus den Räumen der Galerie befreien und auf den ganzen kommunalen Raum (unter Beteiligung auswärtiger Künstler) ausweiten können. Dabei beziehen sie ein noch waghalsigeres Projekt mit ein. Um nicht von den Spendentöpfen der Stadt abhängig zu werden, strebt man an, die Potentiale eines privatwirtschaftlichen Kultur-Sponsorings ausloten zu wollen. Da das deutsche Gewerbe traditionell die Imagewerbung von künstlerischen Aktivitäten unterschätzt, wird man wohl kaum offene Türen einrennen. Insofern muß man vor so viel Chuzpe einfach den Hut ziehen.
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