Geschlossene Augen belichtet

Galerie Simulakrum zeigt fotografische Arbeiten von Christiane Pott

VON CHRISTOPH DÖRRLAMM

MAINZ. Knipsende Laien oder fotografierende Profis - die meisten suchen nach der flüchtigen Impression, dem goldenen Moment, um menschliche Objekte in spontaner Leidenschaft einzufrieren. Christiane Pott sucht anders mit ihrer Kamera, fast paradox. Seit Jahren experimentiert die Wiesbadener Künstlerin mit Langzeitbelichtungen, dehnt sie ihre Fotografien gleichsam filmisch in die Länge und konserviert damit "Augenblicke dazwischen". Einige davon sind jetzt in der Galerie Simulakrum zu sehen.

In gewisser Hinsicht mag er irreführend sein, jener Ausstellungstitel, der beinahe wie Understatement daherkommt. Schließlich gehen die Arbeiten der Künstlerin gerade über den Augenblick hinaus. Bis zu zehn Sekunden Belichtungszeit bekommen Modell und Filmmaterial. Der Effekt indes ist verblüffend: Nicht mehr die Hülle des abgebildeten Körpers bestimmt die Bilder; Konturen und Kontraste verschwimmen, übersetzen Bewegung in das Medium, lenken die Augen des Betrachters auf das Wesen des von außen nicht mehr greifbaren Modells. Dabei wählt das Objektiv mal körperliche Ausschnitte, geschlossene Augen etwa oder eine Brust, dann wieder Gesicht mit Oberkörper.

"Mit direkter Abbildung der Realität hat das nix mehr zu tun", findet Pott. Entsprechend stilisiert präsentiert sie ihre Bilder - allesamt schwarzweiß (oder besser: hellgrau-dunkelgrau) -, gruppiert mehrere Aufnahmen zu "mehrteiligen fotografischen Arbeiten". Bilderfolgen, die sich mal von rechts nach links, dann wieder von oben nach unten lesen lassen, wobei die Unterschiede innerhalb eines Mehrteilers so spektakulär nicht sind; eher fließend, gewissermaßen die Fortsetzung dessen, was bereits die einzelnen Fotos ausmacht. Da ist zum Beispiel der verschwommene Brustkorb, bewegter Übersetzer einer atmenden Lunge: ein Doppelfoto inhaliert, daneben geht die Luft aus.

Wo dieses Exponat, womöglich als Sinnbild menschlichen Lebens gemeint, durch ein zu strenges Arrangement in seiner Bewegungsfreiheit noch eingeengt scheint, leben und regen sich die anderen Arbeiten, vor allem die Gesichter, auf beeindruckende Weise. Das mag zum einen an Potts Konzept liegen; aber auch an ihrem männlichen Modell, das sich der Kamera, obwohl stets mit verschlossenen Augen, hemmungslos preisgibt. Nackt und konzentriert sackt der Mann während der zehn Sekunden Belichtung in sein Zentrum zusammen, gibt sich gleichzeitig verblüffend intim mit dem Objektiv. Der Betrachter wird zum Voyeur, verfolgt fasziniert die Von-oben-nach-unten-Bewegung, viermal nebeneinander auf 80 mal 40 Zentimeter - zunehmend verwischt und verdunkelt.

Am Ende bleiben nur rudimentäre Konturen, lassen von der Totenmaske bis zum abgelichteten Embryo etliche Sichtweisen zu. Und dann ist Schluß mit Bildfolge und Ausstellung. Gerade mal vier Arbeiten hat Pott an den Wänden der Galerie angebracht. Wo andere Künstler ihre Themen überreizen, Ideen ausschlachten, exponiert sich die Wiesbadenerin sparsam - zu sparsam für das angebotene Potential vor und hinter der Kamera.

Õ Die Ausstellung mit den fotografischen Arbeiten von Christiane Pott ist bis zum 25. August in der Galerie Simulakrum, Nackstraße 12, zu sehen. Geöffnet ist sie nach telefonischer Anmeldung unter 06131/672479 oder 0611/842721.


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